von Birgit Auf der Lauer und Anja Bodanowitz
Wasserläufer: Bau Instruktionen 2 , Birgit Binder 2011
Von Kunst aus die Welt betrachten und Schule machen
Ein Floß zu bauen ist ein “alter” Pädagogik-Trick um Gruppendynamik zu trainieren. Es kommt auf Schnelligkeit an, auf effektive Kommunikation, nach maximal 2 Stunden die Paddel ins Wasser stechen und johlend den anderen zuwinken.
Ein Floss zu bauen ist wie einer “alten” Utopie nachzueifern: “Raus zu kommen”, sich an den Horizont zu katapultieren, auf ferne Inseln. Ein Floßbau kann ein langsamer, ineffektiver und von vielen Stimmen durchdrungener Prozess sein– wie unserer. Es gab viele Visionen, Abstimmungen und Ideen zu einer Reise ins “Anderswo”. Am Ende kennt man jede Schraube mit Namen.
Auf einem Floss kommt man zwar “raus” aus dem Alltag in der Schule, im Hort und Kiez, aber man katapultiert sich, zum einen in die Stadt hinein und wie sie auf verschiedenen Ebenen (Schifffahrtsamts-bürokratie, Wetter, Grenzen zwischen Privat- und Gemeinbesitz) funktioniert.
Zum anderen katapultiert man sich in eine räumliche Distanz, die es sonst nicht gibt. Die Distanz heißt “unbekanntes Wasser vor gewohnten Festland” und ermöglicht neue Perspektiven, Panoramen, Einblicke, Berührungen und Tuchfühlungen mit der urbanen Umgebung.
Nach dem Bau und den Testfahrten in diesem Jahr ist der zweite Schritt die konkrete Anwendung und Verwendung des Floßes an der Schnittstelle zwischen künstlerischer Arbeit und Schule.
Das Floß ist zunächst eine Plattform – ein mobiler Raum, der ästhetische Forschung möglich macht. Wobei hier nicht unbedingt Landschaftsmalereikurse auf dem Floss gemeint sind, sondern künstlerische Aufgaben (siehe Abbildung: ), die das Abtasten/ Scannen/ Dokumentieren und Rekonfigurieren von Stadtlandschaft, wie auch der eigenen Wahrnehmung bzw. des eigenen Körpers beinhalten.
Das ist unser künstlerischer Zugriff bzw. unsere Motivation ein Floß zu bauen. Die Kinder wollten, so scheint es, eine Plattform für ästhetischen Urlaub (Ästhetik vom griechischen aisthesis: Wahrnehmung) bauen. Wo bleiben die Anknüpfungspunkte zu den Aufgaben des Schulalltags?
Anknüpfungspunkte zur Schule sind zunächst Fragen, die sich aus präzisen Beobachtungen ergeben und auf andere Disziplinen bzw. Fachbereiche hindeuten, also nicht nur mit den Mitteln der Kunst bearbeitet oder beantwortet werden können. Vom Versuch das trübe Wasser zu Zeichnen ist es nicht weit zur Untersuchung der Verschmutzung des Wassers. Leonardo da Vinci musste manchmal rechnen, um z.B. perspektivisch zeichnen zu können und die Umsetzung seiner künstlerischen Ideen brachten komplexe Rechenaufgaben hervor.
Als physische und ideelle Plattform können neue Lehr- und Lernmöglichkeiten entwickelt werden. Innerhalb einer Schule stellt das eine utopische Aufgabe dar, denn es passt nur eine halbe Klasse, eine halbe Lehrerin auf und eine schwimmende KünstlerIn neben das Floß. Es ist also eine Laborsituation, halb utopisch und halb real.
In der Kontextverschiebung vom Schulgebäude zum Schulfloß, geben nicht mehr nur Text und Bild, sondern die urbane Umgebung Lehr- und Lerninhalte vor. Immer wiederkehrende Fragen an die Schüler waren die der Gestaltung und die der Verwendung:
Wie soll das Floß aussehen?
Was wollt ihr mit dem Floß machen?
Für was und wie wollt ihr es verwenden?
Was für ein Unterricht kann auf dem Floss stattfinden?
Nicht lange musste überlegt werden: Es zersägen und neu aneinander bauen oder in alle Winde streuen, es vergrößern, ein Segel dran montieren. Man kann Naturwissenschaften (Biologie, Erdkunde, Wetterkunde) und Kunstunterricht machen und in “Ruhe” lesen und schreiben. Sport natürlich auch.
Dieses Jahr fand der Floßbau und zwei Probefahrten in der Rummelsburger Bucht statt. Sie wurden durch die Unterstützung des Jugendschiffes “Freibeuter” möglich gemacht. Im nächsten Jahr ist es angedacht auf dem Floß im Wasser ein detailliertes Stadtteilporträt zu erstellen, das durch die Mittel von optischen Werkzeugen, den Strategien der Kartierung, wie auch aus Inhalten und Geschichte hinter dem Beobachteten hergestellt wird.
Nach der künstlerischen Arbeit, können kleine Unterrichtseinheiten zu identifizierten Fragen und Themen mit LehrerInnen und Schülern entwickelt werden. “Bau ein Floß – Denk wie ein Fluss” ist ein Versuchsmodell und alle die daran gearbeitet haben und arbeiten werden sind die Multiplikatoren, die die Idee des Projektes in einem breiteren Feld (nicht nur auf dem Floß) zur Anwendung bringen können.
Videodokumentation der Jungfernfahrt mit Wasserläufer, Rummelsburger Bucht 26.10.2011